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Episode 29

Das Kreuz mit dem Kreuz

Auch wenn mein Großvater Theo Hespers überzeugter Katholik ist: Mit der Kirche als Institution hatte er so seine Schwierigkeiten, wenn er auch gute Kontakte in die oberen Etagen pflegte …

Die erste Seite der Enzyklika von Papst Pius XI: "Mit brennender Sorge und steigendem befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Katholischen Kirche, die wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treubleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Landes und des Volkes, dem St. Bonafatius einst die Licht- und Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht hat. Diese unsere Sorge ist nicht vermindert worden durch das, was die Uns an Unserm Krankenlager besuchenden Vertreter des hochwürdigen Episkopats wahrheits- und pflichtgemäß berichtet haben."

Bevor mein Großvater zusammen mit seinem Weggefährten Plato im Juli 1937 die Widerstandszeitschrift „Die Kameradschaft“ gründet, schreibt er bereits für andere Publikationen. Eine davon: Der Deutsche Weg – eine katholische Widerstandszeitschrift, die 1934 vom Jesuitenpater Friedrich Muckermann im niederländischen Oldenzaal gegründet wurde.

Die Mitarbeit an dieser Zeitschrift war meinem Großvater aus zweierlei Gründen wichtig: Zum einen konnte er so natürlich zum Widerstand aufrufen und zumindest die katholische Gemeinde darauf aufmerksam machen, dass der katholische Glaube mit dem Nationalsozialismus nicht vereinbar ist (Stichwort Nächstenliebe). Zum anderen brauchte er aber auch das Geld. Schließlich wurde er von einem katholischen Flüchtlingskomitee unterstützt. Es gab da nur einen klitzekleinen Haken. Mein Großvater war zwar gläubig und tief überzeugt von der Richtigkeit der christlichen Werte. Der Kirche als Institution stand er allerdings mehr als kritisch gegenüber. Wenn also Pater Muckermann zu Besuch kam, musste ein bisschen Theater her. Und das sind die Geschichten, an die sich mein Vater mehr als gerne erinnert:

„Der war anfürsich katholisch (Anm. d. Autorin: gemeint ist Theo), im Prinzip ja, aber bei uns wurde das nicht praktiziert, Kreuzzeichen musste man nicht machen. Nur: wenn ein Pater Dingens kam, der mit in dem Widerstand war, dann mussten wir katholisch machen. Dann mussten wir uns – Gebet sprechen – das mussten wir spielen, das hab ich alles mitgekriegt! Der spielte das! Der wusste genau – der hat totalen Durchblick. In seinem Artikel schreibt der doch. Die katholische Kirche scheiße, das ganze Christentum scheiße, dass die alle nicht zu dem gestanden haben, was von denen gefordert ist.“

Interview mit meinem Vater vom 28. Dezember 2014

Mein Großvater war schon nicht gut auf die katholische Kirche zu sprechen, bevor es zur Machtübernahme der Nazis kam. Aber als sich dann 1933 der deutsche Klerus vor den Nationalsozialisten weggeduckt und in einem Pastoralaufruf vom 28./29. März desselben Jahres die Gläubigen „zur Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit und zur gewissenhaften Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten“ ermahnt hat, dürfte ihm schlicht der Kragen geplatzt sein. Für ihn war schon weit vorher klar: Das, was die Nationalsozialisten da wollen, ihr Parteiprogramm, verstößt gegen die christlichen Grundsätze.

Die Enzyklika von Papst Pius XI. mit dem Titel „Mit brennender Sorge„, die am 21. März 1937 – das war am Palmsonntag, also eine Woche vor Ostern – veröffentlicht wurde, kam für ihn viel zu spät. Darin verurteilt Papst Pius zum ersten Mal deutlich die Politik und Ideologie des Nationalsozialismus. Das Schreiben war auf Deutsch verfasst und wurde am 21. März 1937 in allen katholischen Gemeinden verlesen. Das hatte weitreichende Folgen. Bereits in der Karwoche gab es mehrere Hausdurchsuchungen. Druckereien, die an der Vervielfältigung des Schreibens mitgewirkt hatten, wurden enteignet und eine erneute Welle an Sittlichkeitsverfahren gegen Geistliche, katholische Schulen mussten schließen und der Religionsunterricht an Volks- und Berufsschulen wurde verboten.

Ich finde es bis heute erstaunlich, dass das nicht zu mehr Widerstand in der Bevölkerung geführt hat.

Intelligenztest mit Weihwasser

Trotz allem war meinem Großvater wichtig, dass mein Vater regelmäßig in die Kirche ging. Aber vielleicht wollte er auch einfach nur seinen Sohn ein wenig beschäftigt wissen. Denn so ganz ernst ist es ihm dann doch nicht gewesen mit der katholischen Erziehung seines Sohnes.

„Aber der hat mich auch immer zur Kirche geschickt, das weiß ich noch genau. Die Geschichte war folgendermaßen. Das war um die Zeit, wo man… wo man sich – zur Osterzeit jedenfalls… ich musste jedenfalls, wo man dann geweiht wird. Wo der Pastor von vorne wahnsinnig viel Weihwasser spritzt, ne. Es muss Ostern gewesen sein. Da schickte der mich hin. Er selbst hatte politische Arbeit getrieben, da war der in, in, in Irland gewesen, in England gewesen, da war er kaputt, da hat der lang geschlafen, die Kirche interessierte ihn überhaupt nicht. Mich schickte er aber hin. Da sagte er: guckste, dass du auch die Spritzer mitkriegst von dem Kreuz und so weiter. Die Kirche war pickepackevoll bis zum Ausgang. Und extra Kindermessen gab es damals noch nicht. Und ich kam da einfach nicht durch als kleiner Kerl. Und ich ging dann nach Hause, Papa sag ich, ich bin nicht durchgekommen, ich hab keinen Spritzer abbekommen. Ja, sagte er, dann gehste noch mal in die Kirche. Ich ging dann noch mal in die Kirche, zweite Messe. Und ich dachte, Menschenskinder, jetzt musste wieder nach Hause komme, wieder erzählen du hättest keinen Spritzer abbekommen. Da hatte ich plötzlich nen Einfall! Da hab ich einfach mir Weihwasser genommen, aus dem Becken. Ich dachte, da ist dasselbe was der verspritzt da hinten. Das Weihwasser, dasselbe was im Becken ist. Das hab ich dem erzählt und dann sagte er: siehste, sagte er, ich wollte bloß mal prüfen, ob du klug genug war. Solche Meutzkes machte er dann mit mir, ne.“

Interview mit meinem Vater vom 28. Dezember 2014

Ob das wirklich Ostern 1937 gewesen war oder ein Jahr später, kann ich nicht sagen. Mein Vater schmeißt da auch ein bisschen was durcheinander. Denn der Ausflug von meinem Großvater nach Irland war definitiv erst im Sommer 1937. Aber immerhin war es dasselbe Jahr. Von daher kann es gut 1937 gewesen sein. Und irgendwie mag ich diese Geschichte. Denn es zeigt so eine spitzbübische Seite von meinem Großvater. Eine, die in der seiner politischen Arbeit keinen Platz hat. Es ist einfach schön zu wissen, dass es auch diese Seite von ihm gab. Auch wenn Kinder ärgern natürlich nicht nett ist. Aber wo ist ein Sechsjähriger sicherer aufgehoben als in der Kirche.

Kein Kreuz, keine Unterstützung

Was man über diese Geschichte leicht vergisst: Die Kirche hatte damals einen enormen Einfluss auf die Menschen. Und auch, wenn meine Oma nicht wirklich wusste, was mein Großvater so trieb. Eins wusste sie ziemlich genau: Sie waren zu einem gewissen Grad abhängig von ihrer zur Schau gestellten Frömmigkeit. Das hieß auch, dass mein Vater die richtige Schule besuchen musste, um den Leumund seiner Familie und die Unterstützung des katholischen Flüchtlingskomitees nicht zu gefährden. Und so ereignete sich in dieser Zeit auch diese Geschichte im Hause Hespers:

Mein Vater: Es kam ein Pastörchen zu uns hin eines Tages. Kam in unsere Wohnung – wir wohnten da Sonniusstraat 18 oder was – und kam rein, meine Mutter war alleine, mein Vater war auf Politikreisen – ich denke in Utrecht oder Amsterdam oder vielleicht in London, ich weiß es nicht genau. Kam rein, kleiner Pastor, dick rote Backen, mit dem Talar an mit 33 Knöpfen. Weißt du warum 33 Knöpfe? Die hatten früher 33 kleine Knöpfe, weil Jesus angeblich 33 Jahre alt geworden ist. Ja, das war alles wichtig für die katholische Kirche. Die hatten, total Druck, total im Griff! Dann kam er rein, guckte böse und sagte: ‚U bent mevrouw Hespers?‘ ‚Ja‘, meine Mutter ganz ängstlich. Alles was geistlich war und höher war – da sackte die Zusammen! Das hat die nicht anders gelernt. ‚En u bent emigrant? Duitse emigrant?‘ Meine Mutter nickte, die konnte ja kaum niederländisch, ne. Verstehen tat sie wohl alles. Guckte sich rund: ‚En geen kreuz an de muur?‘ Meine Mutter – fing beinah an zu weinen. Dann guckte der mich an. ‚En maar een jongetje, en geen heilige printje an de muur? Dat gaat met de duivel to. Ik sal daarvoor zorge, dat jullie geen steun meer krijge van de katholieke kerk!‘
Keine Unterstützung mehr kriegen, da will er für sorgen. Und da ging er tatsächlich, indem er die Türe schlug ging er davon. Meine Mutter, die brach in Tränen aus.

Ich: Da kannste dich genau dran erinnern?

Mein Vater: Ja absolut! Ich hab Erinnerungen bis ins Babyzeitalter – verschiedene Episoden, nicht alles.“

Interview mit meinem Vater vom 02. Februar 2015

Da ist es wieder – das ruhmreiche Elefantengedächtnis meines Vaters, dem nur die Jahreszahlen fehlen…

Mein Vater: Mein Vater kam abends oder anderntags, kann ich nicht sagen, zurück. Meine Mutter unter Tränen berichtete ihm was passiert war. Da sagte der: ‚Das Pastörchen kriegen wir schon, ich kenn nämlich seinen Bischof.‘ Dann hat der sich mit dem Bischof auseinandergesetzt – man musste immer hin fahren. Telefonieren war umständlich. Wer hatte schon ein Telefon? Da musste man weit, weit laufen zum Telefonhäuschen hin. Hatte der den Bischof gesprochen, sagt der Bischof: ‚Den werden wir uns kriegen.‘ Hat der sich den Pastor vorgenommen, hat der gesagt: ‚Mein Lieber, du bist für die Stadt nicht geeignet, du musst aufs Dorf.‘ Da wurde er nach Vlodrop geschickt aufs Dorf. Da sagte mein Vater: ‚Das ist grade richtig! Da kann er die mit dem Teufel bang machen und für eine bessere Ernte beten …‘

Ich: Da hat der sich aber auch keine Freunde gemacht mit dem, oder?

Mein Vater: Och, in den höheren Etagen hatte mein Vater viele Freunde. Die Bischöfe standen darüber. Aber die Kleinen mussten funktionieren. Die mussten genauso funktionieren, wie die das wollten. Gut. Ich kam dann auf die gute Katholieke School, ich freute mich. Denn auf dieser Gemeinschaftsschule waren alles diese eingebildeten Blagen van de betteren mensen, die viel Geld hatten. Und da hatte ich keine Freunde. Maar op de katholieke school hatte ich meine Freunde wieder! Jantje und Fransje – meine Straßenfreunde! Hab ich von erzählt, ne?“

Interview mit meinem Vater vom 02. Februar 2015

Ohja, das hat er. Mit viel Freude erzählt er davon. Aber die Geschichte gibt es dann ein anderes Mal.

Personen:

Theo Hespers – Widerstandskämpfer und mein Großvater

Dietrich Hespers – mein Vater

Friedrich Muckermann – Jesuitepater, katholischer Widerstandskämpfer und Publizist

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Die Titelseite der Widerstandszeitschrift: Zu sehen ist ein großes weißes K auf grünem Grund im Hintergrund, darüber einmal das Wort Kameradschaft. Rechts daneben ist die erste Seite des darin enthaltenen Artikels "Ist Hitler legal?" zu sehen. Den Artikel lese ich in der Podcastfolge vor.

Episode 38

„Ist Hitler legal?“

In einem Artikel von 1938 fragt ein Autor, ob Hitler legal an die Macht gekommen sei. Eine Frage, die hypothetisch scheint. Denn sie ändert nichts an den Umständen. Um katholischen Widerstand zu legitimieren, ist die Frage allerdings entscheidend.

zur Folge

03-06-2018
Titelseite der Dezember-Ausgabe 1938 von "Die Kameradschaft" mit dem Artikel "Der 'Friede'"

Episode 41

„Schlimmer als ein Pogrom“

Im Dezember 1938 veröffentlicht mein Großvater in der Widerstandszeitschrift „Die Kameradschaft“ einen Augenzeugenbericht der Novemberpogrome. Die Ereignisse werden darin als „schlimmer als ein Pogrom“ bezeichnet.

zur Folge

09-11-2018
Ein Familienfoto von Käthe Hespers, Theo Hespers, der auf seinem Arm ein Baby hält. daneben ein schwarzweiß Foto von Toos Verhagen.

Episode 45

Dreieckige Bütterken

Mein Großvater Theo Hespers hat im Exil eine Affäre mit der Niederländerin Toos Verhagen. Mein Oma weiß davon. Sie leben zeitweise sogar unter einem Dach. Doch dann kommt es zur Zerreißprobe für die Dreiecksbeziehung – mittendrin: Mein Vater.

zur Folge

22-05-2021

Lesungen & Vorträge

Weitere Lesungen für 2024 sind ebenfalls in Planung. Anfragen gerne über den Suhrkamp Verlag.