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Episode 36

Über unendliche Wege

Mein Vater Dietrich Hespers, der Sohn des Widerstandskämpfers Theo Hespers, war Zeitzeuge. Ein unbequemer Mensch. Einer, der den Widerstand seines Vaters weitergelebt hat – auf seine ganz eigene Weise. Sein Tod ist eine Zäsur – auch für diesen Podcast.

Ein Holzschild mit dem Namen meines Vaters, Dietrich Hespers, dem Geburts- und Sterbedatum, darunter ein Kranz bunter Blumen auf seinem Grab. Die letzte Ruhestätte.

Dieser Artikel ist eine Zäsur. Und ich weiß gar nicht so recht, wie oder wo beginnen. Denn einerseits seid ihr schon eine ganze Weile mit mir auf einer sehr persönlichen Reise unterwegs. Andererseits möchte ich euch nicht in Schock oder Trauer versetzen. Wohl wissend, dass ich auf beides keinen Einfluss habe. Nicht so richtig zumindest.

Aber es gehört wohl zur Reise eines jeden Menschen auf diesem Planeten, dass wir Weggefährten verlieren. Und für alle, die es noch nicht in den sozialen Netzwerken gelesen haben oder diesen Blog nur unregelmäßig verfolgen, ist das hier wahrscheinlich neu: Heute vor genau fünf Wochen – am 31. Januar 2018 – ist mein Vater Dietrich Hespers im Alter von 86 Jahren gestorben.

Ein schwarzweiß Foto von Dirk Hespers senior, daneben der Text von

Es war ein Mittwoch, der Tag einer Vollmondnacht. Einer besonderen Vollmondnacht. Natürlich. Der Mond stand ungewöhnlich nah an der Erde und leuchtete groß und hell: ein Supermoon. Außerdem war Bluemoon, weil es der zweite Vollmond im Januar war. Und auf der Südhalbkugel gab es eine Mondfinsternis. Ein Himmelsereignis, das den Mond rot leuchten lässt. Bloodmoon.

Ehrlich gesagt: Drunter hätte es mein Vater auch nicht gemacht. Die Geschichten, das Außergewöhnliche und das Drama – das war seine Welt. Eigentlich hätten wir an dem Abend eine gemeinsame Lesung gehabt. In der Schule, die ab dem kommenden Schuljahr den Namen „Theo-Hespers-Schule“ tragen wird. Diese Lesung war ihm so wichtig, dass ich ihn aus dem Krankenhaus abholen sollte, in das er eingeliefert wurde, weil es ihm aufgrund einer Grippe nicht gut ging. Ein Risiko, das ich unter keinen Umständen eingehen wollte. Man wird schließlich nicht zum Spaß ins Krankenhaus gebracht. Aber er hat auf meine Mailbox gesprochen und sehr eindringlich darum gebeten, ich möge ihn abholen. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen.

Eine gemeinsame Lesung – ohne ihn

Unter den gegebenen Umständen hätte wahrscheinlich jeder verstanden, wenn ich die Lesung abgesagt hätte. Und es war – zugegeben – ein sehr seltsames Telefonat, indem ich sagen musste, dass mein Vater heute Abend nicht bei der Lesung sein wird, weil er am Morgen verstorben ist. Mein Vater war bis zuletzt so fit im Kopf, dass es schlicht unvorstellbar war, dass er einfach nicht mehr da ist. Auch wenn sein zuletzt wirklich schwacher Körper nur noch von seinem unbändigen Willen zu Leben zusammengehalten wurde. Aber so war es nunmal. Er war nicht mehr da.

Und zeitgleich hatte ich das Gefühl, dass ich diese Lesung einfach nicht absagen kann. Er wäre, wenn nötig, mit dem Taxi aus dem Krankenhaus getürmt, um an diesem Abend in der Schule zu erzählen und Gitarre zu spielen. Also habe ich erklärt, dass ich am Abend da sein werde. Und ehrlich gesagt: Was gibt es für einen würdigeren Abschied als ihn mit den Geschichten seines Vaters – und seiner eigenen natürlich – in diese helle, klare Vollmondnacht zu schicken. Auf seine letzte Reise, die ihn – so hoffe ich – wieder mit seinem Vater zusammenbringt. Und mit seiner Mutter.

Ein Grab in Sichtweite seines Vaters

Wir hätten ihn gerne auch im Diesseits zu seinem Vater gebracht. Aber die Nazis haben die Leiche meines Großvaters verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut, um keine Märtyrer zu schaffen. Nichts sollte an die Verräter des Systems erinnern. Aber auf dem Hauptfriedhof in Mönchengladbach gibt es eine Gedenktafel für meinen Großvater. Und direkt gegenüber – in einer Linie zum Grab seines Vaters, hat auch mein Vater jetzt seine letzte Ruhestätte.

Ich will das hier nicht zu rührselig werden lassen. Aber bevor ich den nächsten Artikel veröffentliche, möchte ich auch euch die Chance geben, euch von meinem Vater zu verabschieden. Wir haben in seinem Totenbrief einen Liedtext abgedruckt von einem der Lieder, das zu seinem Repertoire gehört hat. Und das ziemlich gut zu ihm und seinem Leben passt. Die früheste Quelle, die ich dazu gefunden habe, war der Abdruck in einem Manuskript des katholischen Jugendbundes „Neudeutschland“ – als Entstehungszeit wird 1934 angegeben. Mein Vater hat das Lied 1982 mit seiner Band „Dirk Hespers und Makkers“ für die Platte „Wir sind so sehr verraten“ aufgenommen. Untertitel der Platte: Lieder aus einer Zeit des Widerstands gegen die Diktatur. In dieser Aufnahme singt er es mit seiner ersten Frau Marlies.

Das Grab meines Vaters Dietrich Hespers. Ganz klein im Hintergrund, wo die rote Kerze steht, ist die Gedenktafel für seinen Vater, den Widerstandskämpfer Theo Hespers.

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Links ein schwarzweiß Foto von Dirk Hespers als zweijährigem Kind, rechts ein Bild von Dirk Hespers als 84-jähriger Mann.

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