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Episode 14

Unter Papier vergraben

Das Schöne an Recherche ist: All die Dokumente und das Wissen darin zu entdecken. Der Nachteil: Das alles muss gesichtet, eingeordnet und sortiert werden, bevor es eine nächste Podcastfolge gibt.

Fotos und Dokumente liegen durcheinander auf einem Tisch, darunter ein Foto von meinem Vater als Kleinkind, ein Foto von Theo Hespers aus den 20ern, Fotos der Gedenkstätte Plötzensee und Briefe.

Fünf Monate ist es jetzt her, dass ich das Blog gestartet hab. Die meiste Zeit ist es mir gelungen, wöchentlich zu schreiben. Grade hängt‘s. Das liegt vor allem daran, dass sich mein Schreibtisch biegt unter dem Material, das ich inzwischen rangeschafft habe. Ich komm einfach nicht nach mit sichten, lesen und schreiben.

Und jetzt sitze ich wieder im Zug nach Berlin, um noch mehr Unterlagen zu besorgen. Denn im Bundesarchiv liegen rund 3.000 Seiten Material zum Prozess gegen Theo Hespers, also sofern man sowas Prozess nennen kann, denn mein Großvater hatte nicht mal einen Verteidiger. Es wäre natürlich einfacher gewesen, sich das alles in Kopie zuschicken zu lassen, von dem Geld für die Kopien könnte ich allerdings eine kleine Weltreise finanzieren. Also fahr ich hin und werde mich die nächsten zwei Tage damit beschäftigen, in altem Papier zu wühlen.

Ich bin gespannt, was da wohl noch alles auftaucht. Vor zwei Monaten hat mein Vater mir ein Buch oder besser eine Schriftensammlung mitgegeben. Invertito heißt das Werk und wird herausgegeben vom FHG, dem Fachverband für Homosexualität und Geschichte. In der Ausgabe von 2006 beschreibt Andreas Pretzel in einem Kapitel mit einem Thema, das in der Aufklärung um die Verbrechen der NS-Zeit sagen wir großräumig umfahren wurde. Die Verfolgung von Homosexuellen. Gefühlt ist es so, dass mit diesem Stichwort die Aufklärung auch schon beendet war. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mal daran erinnern, in den unzähligen Geschichtsstunden über den Zweiten Weltkrieg jemals das Wort Homosexuell gehört zu haben.

Wirklich spannend ist: der Artikel von Andreas Pretzel handelt auch von meinen Großvater. Weil er jungen Deutschen geholfen hat, im niederländischen Exil zurechtzukommen. Er hat sich zum Beispiel, zusammen mit Hans Ebeling und Werner Schuckmann, darum gekümmert, dass sie arbeiten und damit ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Zum Beispiel indem sie mitgeholfen haben, seine Widerstandszeitschrift herzustellen und zu verbreiten. Die Kontakte kamen über den Mitherausgeber Hans Ebeling zustande. Die Bündische Jugend war für schwule Männer und lesbische Frauen mitunter die einzige Möglichkeit, sich zu treffen und in Kontakt zu kommen.

Ein Besuch im Bundesarchiv in Berlin

Dass es diese Kontakte gab, lässt sich durch die Protokolle belegen, die im Bundesarchiv in Berlin liegen. Da steht natürlich nichts über die sexuelle Orientierung der Personen. Also nicht direkt zumindest. Aber wenn jemand aufflog, war er natürlich erpressbar. Und um gar nicht erst aufzufliegen, musste man sich auch natürlich schützen oder eben eine Position im System ergattern, in der man nahezu unantastbar war. Und dieser Umstand hat einige junge Männer, die bei meinem Großvater und Hans Ebeling Zuflucht gesucht und auch gefunden haben, dazu gebracht, der Gestapo Details über meinen Großvater, Hans Ebeling und andere beteiligte an der Kameradschaft zu verraten. Details, die im Prozess natürlich gegen meinen Großvater verwendet wurden.

In den Fußnoten dieses wissenschaftlichen Texts sind ziemlich viele Verweise auf Akten, die meinen Großvater betreffen. Seitdem bin ich mehr als sicher, dass das, was mir vorliegt, unvollständig ist. Einen Monat hat es jetzt gedauert, alle Einzelheiten zu klären und einen Termin zu finden, um nach Berlin fahren zu können.

Was auch noch auf meiner Agenda steht: auch in England gibt es Unterlagen über meinen Großvater. Mein Vater sagt oft nicht ohne stolz, dass Theo mit den Engländern zusammengearbeitet hat, mit dem SIS. Ich würde das natürlich gerne belegen können. Ein erster – zugegebenermaßen eher naiver Versuch – Informationen von Seiten des Secret Service zu bekommen, ist gescheitert. Die haben nicht mal eine Pressestelle – aber was will auch ein Geheimdienst mit einer Pressestelle. Aber ich habe immerhin Antwort bekommen vom britischen Außenministerium. In der Mail heißt es, sie werden weder bestätigen noch dementieren, dass mein Großvater für den SIS gearbeitet hat. Das war erwartbar, ist aber natürlich trotzdem enttäuschend.

Einige Wochen später habe ich noch eine Mail vom britischen Außenministerium erhalten. Im Nationalarchiv in London liegen tatsächlich Unterlagen zu meinem Großvater. Soweit ich das der Mail entnehmen kann, ist er zumindest auf einer Informantenliste des SOE geführt. Auch diese Unterlagen will ich mir besorgen.

Zu meiner Oma gibt es ebenfalls eine Akte. Die liegt in einem Archiv in Duisburg. Auch da muss ich eine Woche vorher bescheid sagen, damit sie mir die Akte raussuchen und ich Einsicht nehmen kann. Denn es gibt ein paar kuriose Anekdoten zu den Verhören meiner Großmutter und auch da würde ich einfach gerne wissen, wie viel Legende dabei ist, beziehungsweise, was davon jetzt tatsächlich protokolliert wurde.

Und damit ich mir dieses ganze Privatvergnügen leisten kann, habe ich noch ein kleines Feature über meinen Großvater für DRadio Wissen gemacht. 20 Minuten sind viel Zeit und aufwendig in der Produktion, aber bei weitem nicht genug Zeit, um die Geschichte vollständig zu erzählen. Deshalb geht es am Freitag (17.4.2015, ab 18:15 Uhr in der Sendung „Einhundert“) wirklich nur um meinen Großvater. Alles weitere dann, wenn ich die Akten im Bundesarchiv Berlin fertig gesichtet – und in meinem Kopf sortiert habe. Danke für eure Geduld!

Im Bundesarchiv in Berlin lagert ein Großteil der Akten über meinen Großvater.

Das weiße Gebäude ist der Lesesaal des Bundesarchivs in Berlin.

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Familienfoto von 1931: links meine Oma Käthchen mit kinnlangem Bob und Seitenscheitel, sie blickt auf ein Baby, meinen Vater. Der proppere kleine Kerl wird von meinem Opa gehalten, der in die Kamera grinst. Der Kleidung nach zu urteilen ist es Sommer und mein Vater ca. 6 Monate alt.

Episode 6

Über die Verhältnisse

Mein Großvater Theo Hespers kommt aus einer Familie, die damals wohl als kleinbürgerlich bezeichnet worden wäre. Eine Kaufmanns-Familie, streng katholisch, mit einem herrischen Vater als Haushaltsvorstand und Verwandten in den Diensten der katholischen Kirche. Meine Oma Käthe hingegen kommt aus einem sogenannten Proletarierhaushalt. Der Vater ist ein Handwerker, durchaus gut situiert, aber eben nicht so gebildet wie die Menschen, die dem Bürgertum zugerechnet werden. Meine Großeltern sind damit ein eher ungewöhnliches Paar.

zur Folge

04-01-2015
Titelseite des Dokuments, mit dem die Verhörprotokolle im Prozessordner beginnen. Darauf steht: Oberreichsanwalt beim Volksgericht. Das ist aber durchgestrichen. Darunter "Strafsache gegen: Hespers, Theodor, Kaufmann aus Halle"

Episode 8

Zwischen den Zeiten – Teil 1

Berlin. Dorthin haben sie meinen Großvater gebracht, nachdem sie ihn in Antwerpen mit gefälschten Lebensmittelmarken erwischt und festgenommen haben. Zuerst ins Marinegefängnis nach Wilhelmshaven – und dann nach Berlin. Ins „Hausgefängnis“ der Geheimen Staatspolizei im Reichssicherheitshaupt. Prinz-Albrecht-Straße 8. Da will ich hin.

zur Folge

25-01-2015
Ein Portrait von Selma Meyer. Daneben ein paar Zeilen ihres politischen Wirkens von der Seite gedenkbuch-wuppertal.de, die auch nochmal im Text verlinkt ist.

Episode 31

Ein Komplott und eine bemerkenswerte Frau

Im Kreis der politisch engagierten Männer, sticht eine Person besonders hervor: Selma Meyer. Die Niederländerin ist Unternehmerin, Jüdin, Feministin und Friedensaktivistin. Schon 1934 protestiert sie öffentlich gegen die „Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse“.

zur Folge

01-09-2017

Lesungen & Vorträge

Weitere Lesungen für 2024 sind ebenfalls in Planung. Anfragen gerne über den Suhrkamp Verlag.