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Episode 32

Ein Kongress in Irland

Obwohl mein Großvater Theo Hespers in Holland im Exil lebt, ist er viel auf Reisen. Für seine politische Arbeit, wie mein Vater das immer nannte. Dabei besucht er auch einen Katholikenkongress in Irland. Er will dort nach Möglichkeiten suchen, deutsche Flüchtlinge unterzubringen.

Auszug aus dem Verhörprotokoll vom 16.4.1942: "Haben Sie sich in Holland überhaupt denn nicht mehr politisch etätigt? Von einer direkten politischen Betätigung kann nicht gesprochen werden. Wohl aber habe ich Zeitungsartikel geschrieben und zwar für die Leitung "Deutscher Weg" in Oldenzaal und für den Redakteur van Blankenstein in Wassenaar bei Den Haag. Auch lieferte ich an die Bewegung " E.D.D." ( Eenheit dor Democratie) einige ArtikeI. Diese Artikel betrafen religiöse, kulturelle, wirtschaftliche Fragen sowie über Zustände in Deutschland im Allgeneinen. Ausserdem bemühte ich mich um die katholischen jugendlichen Flüchtlinge aus Deutschland. Ich sorgte für ihre Unterbringung und führte sie zwecks eines weiteren Fortkommens dem katholischen Flüchtlingskomitée in Utrecht zu. Das Komitee war eine von holl. Katholiken gegründete Organisation, die sich für katholische Flüchtlinge aus Deutschland einsetzte."

Nicht mal eine Woche nach dem Jamboree in Vogelzang, besucht mein Großvater Theo Hespers einen Kongress in Dublin. Interessanterweise wusste ich zwar, dass mein Großvater zumindest Kontakte nach Großbritannien hatte, aber dass er wirklich von den Niederlanden aus auch im Ausland gewesen ist, das konnte ich mir lange nicht vorstellen. Für mich war klar: Mein Großvater ist auf der Flucht – und ohne deutschen Pass sitzt er in Holland fest. Klar, nach Belgien kommen war von da aus kein Problem – aber nach England oder Irland? Wie hätte das gehen sollen? Schließlich war 1937 – und nicht 2017.

In meinem Kopf und in meinem Erleben haben sich Menschen bis in die 50er Jahre zu Fuß oder mit dem Fahrrad fortbewegt. Nur ganz, ganz wenige hatten ein Auto. Und Bahn sind nur die Reichen gefahren. Mir ist schon klar, dass das furchtbar naiv klingt. Aber im Geschichtsunterricht habe ich Daten von Ereignissen gelernt. Oder mal die Lebenswelt in einer Stadt oder auf dem Land kennengelernt. Aber wie sich Menschen als Reisende fortbewegen, darüber habe ich mir schlicht nie Gedanken gemacht. In meinem persönlichen Schwarzweiß-Film der Vergangenheit kamen Bahnreisen einfach nicht vor. Und so frage ich also meinen Vater im Dezember 2014 Folgendes zu den Reisen meines Großvaters:

Ich: Wie hat der das denn geschafft, in Tagen nach Irland oder nach Tschechien zu kommen?

Mein Vater: Er machte das halt. Dann raste er wie ein Verrückter zur Bahn hin… mit der Bahn ist der gefahren, oder mit dem Schiff. Der ist auch geflogen! Der hat zum Beispiel – mit der JU 52 – so ähnliche Flugzeuge waren das damals.“

Interview mit meinem Vater vom 26. Dezember 2014

Es ist mir fast peinlich das zuzugeben, aber dass mein Großvater geflogen sein konnte, kam mir mal so gar nicht in den Sinn. Das muss doch unglaublich teuer gewesen sein?! Und wie hat er sich ausweisen können? Die Antwort darauf finde ich in den Unterlagen. Mein Großvater hatte sich mehrfach darum bemüht, die niederländische Staatsbürgerschaft annehmen zu können. Vergeblich. Aber einen Gunstpass haben sie ihm gegeben – und mit dem konnte er immerhin reisen. Zwar nicht nach Deutschland, aber sonst überall hin.

Mein Großvater als Journalist

Trotzdem ist es erstaunlich, dass er den überhaupt bekommen hat. Denn bereits im Februar 1935 wurde ihm ja die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Und die Niederländer wussten auch, dass mein Großvater als Journalist tätig war – dabei durfte er sich offiziell weder politisch betätigen, noch arbeiten. Er muss also schon ziemlich namhafte Unterstützung gehabt haben, um diesen Gunstpass zu erhalten. Und die hatte er definitiv.

Denn mein Großvater hat für verschiedenen Publikationen geschrieben, an denen auch niederländische Journalisten und Politiker beteiligt waren. So zum Beispiel für die niederländische Eenheid door Democratie (E.D.D.). Sein Kontaktmann bei der E.D.D. war Piet Brijnen. Es hat ein bisschen gedauert bis ich herausgefunden habe, wer Piet Brijnen eigentlich ist, denn in den Gestapo-Unterlagen ist der Name falsch geschrieben – dort steht er als Piet Breynen. Dank Wikipedia weiß ich inzwischen ein bisschen mehr über den lieben Piet. Sein richtiger Name war Pieter Brijnen van Houten. Er hat als Korrespondent beim niederländischen De Telegraaf gearbeitet. Zumindest offiziell.

In Wirklichkeit aber war er Geheimagent und hat für den holländischen Nachrichtendienst GS III und den britischen MI5 gearbeitet. Ich habe keinen blassen Schimmer, ob mein Großvater das zu Beginn seiner Tätigkeit schon wusste. Aber mit solchen Kontakten ist es natürlich nicht allzu schwer, einen Gunstpass zu bekommen und die Niederlande in Richtung Großbritannien oder Irland zu verlassen. Ab wann mein Großvater für die E.E.D. tätig war, lässt sich nicht so genau herausfinden. Die Publikation wurde 1935 gegründet und richtete sich sowohl gegen den Nationalsozialismus als auch gegen den Kommunismus. Ich habe Informationen darüber gefunden, dass mein Großvater ab 1938 wöchentlich Artikel für die E.E.D. geschrieben hat und dafür auch bezahlt wurde. Es ist aber gut möglich, dass er Brijnen bereits vorher kannte.

Außerdem schreibt mein Großvater für eine katholische Widerstandszeitschrift namens „Der Deutsche Weg“ – und er erhält finanzielle Unterstützung vom katholischen Flüchtlingskomitee in Utrecht. Mindestens eine dieser Verbindungen wird ihm den Weg geebnet haben, damit er vom 5. bis zum 9. August 1937 nach Dublin fliegen kann, um dort an einem katholischen Friedenskongress teilzunehmen. Er fliegt in Begleitung des niederländischen Politikers Jos Serrarens. Serrarens war Mitglied des niederländischen Senats und Generalsekretär des heutigen Weltverbands der Arbeitnehmer (wobei das damals International Federation of Christian Trade Unions hieß – das klingt eher nach Internationale Vereinigung Christlicher Unternehmer – das hab ich so genau nicht klären können.)

In seinem ersten Verhör vom 16. April 1942 im Gefängnis in Wilhelmshaven gibt mein Großvater zu dieser Reise nach Dublin folgendes zu Protokoll:

„Ich bin nicht nur einmal, sondern dreimal in England gewesen. Meine erste Reise führte mich nach Dublin/Irland im Jahre 1937. Meine Einladung erfolgte zu einer internationalen katholischen Friedenskonferenz. Die Konferenz war von englischen und irischen Katholiken einberufen worden. Die Konferenz wollte einen evtl. Krieg verhindern und sollten die Katholiken in den einzelnen Ländern hierfür tätig sein. Ich verfolgte den Zweck, bei dieser Gelegenheit Persönlichkeiten kennen zu lernen, die für das Los der flüchtigen Katholiken eintraten. […]“

Verhör Theo Hespers vom 17. April 1942 im Gefängnis in Wilhelmshaven

Und auch im Verhör von Antonia Verhagen, der Geliebten meines Großvaters, finde ich einen Hinweis auf diese Reise nach Irland:

„Ich will noch hinzufügen, daß  H e s p e r s  kurze Zeit, nachdem ich ihn kennengelernt hatte, einmal nach Paris gefahren ist und später einmal nach Dublin/Irland. Von diesem Kongress brachte er auch eine englische Zeitung mit, in der ein ausführlicher Artikel über den Verlauf des Kongresses stand. Weiter war ein Gruppenbild in dieser Zeitung enthalten, auf dem auch  H e s p e r s  zu sehen war.“

Verhör von Toos Verhagen vom 29. Oktober 1940 in Berlin

Noch während ich das lese, denke ich: Ach! Es gibt ein Gruppenbild?! Ich hätte wirklich nur zu gerne diese Bild. Und was ist leichter, als ein paar Suchbegriffe bei Google einzugeben und ganz vielleicht dieses Bild zu finden? Aber so einfach war es dann doch nicht. Denn zu diesem Zeitpunkt wusste ich weder, wie der Kongress in Dublin hieß, den mein Großvater besucht hat, noch wann der eigentlich stattgefunden hat. Details, die eigentlich – finde ich – zwingend in das Protokoll gehört hätten, wenn man schon jemanden verhört.

Ein katholischer Friedenskongress in Irland

Für mich nur ein weiterer Beleg dafür, dass es den Nazis nicht so sehr um Beweise ging. Sie wollten Tatsachen schaffen und wenn die da waren, nahmen sie es mit den Details auch schon nicht mehr so genau. Genausowenig wie mit der richtigen Schreibweise von Namen. Wie also komme ich jetzt an die Informationen, die ich gerne hätte? Zwei Hinweise bleiben mir am Ende: Ich finde die Abkürzung CCIR, die ich mit „Catholic comitee for international relations“ übersetze. Damit bin ich schon ziemlich nah dran, nur dass das zweite C nicht für comitee, sondern für council steht. Den zweiten Hinweis finde ich ebenfalls im Verhörprotokoll von meinem Großvater:

„Auf dieser Konferenz lernte ich einen Herrn Epstein aus einer Stadt bei London kennen. Auf meine Frage hin, ob er mir eine Verbindung zu englischen Journalisten machen könne, erhielt ich von ihm die Adresse des engl. Journalisten, der Zeitung News Chronikel. Der Name des Journalisten ist mir nicht mehr in Erinnerung.

Hierdurch entspann sich ein längerer Schriftverkehr, der sich bis zum Ende 1938 hinzog. Durch die Vermittlung des englischen katholischen Komitees erhielt ich im Dezember 1938 ein Visum und konnte somit eine erneute Reise nach London antreten.

Verhör Theo Hespers vom 17. April 1942 im Gefängnis in Wilhelmshaven

Was ich inzwischen gelernt habe: Mein Großvater hat nicht mit irgendwelchen Personen zu tun. Viele seiner Kontakte sind durchaus einflussreiche Menschen. Also tippe ich den Namen Epstein bei Google ein, zusammen mit CCIR. Ich lande bei einem John Eppstein – mit doppel P und finde tatsächlich einen Artikel über den Kongress in Dublin. Treffer! Im Online-Portal JSTOR kann ich nach meinem Login folgenden Artikel lesen: 
“A Conference in Dublin, August 1937 by Stephen J. Brown, S.J.“ – erschienen in „Studies – An Irish Quarterly Review, Vol. 26, No. 103 (Sep., 1937)“

Im Artikel heißt es über den Kongress:


“In July of last year the Catholic Council of International Relations (CCIR) convened in London a Conference of Catholics belonging to different nationalities for the purpose of discussing certain international problems in the light of Catholic principles. The main subject chosen was „The Task of Catholics in the Maintenance of European Order.“ Valuable papers were read, views were exchanged, and certain conclusions were reached. The Conference proved so successful that it was decided to hold another in the following year, and the venue fixed upon was Dublin. The second Catholic International Conference was held from August 5th to 9th.

Studies – An Irish Quarterly Review, Vol. 26, No. 103 (Sep., 1937), S. 489 – abgerufen am 28.8.2017

Tadaaaa! Da war nun endlich auch das Datum zur Konferenz. Und John Eppstein war nicht nur damals ein einflussreicher Mann, er ist nach wie vor ein wichtiger Autor. Sein Buch „The Catholic Tradition of The Law Of Nations“ von 1935 wurde zuletzt 2008 neu aufgelegt.

Leider ist in dem Artikel, den ich bei JSTOR gefunden habe, kein Foto. Aber immerhin habe ich Anhaltspunkte, wo ich suchen könnte – in ungefähr allen englischen Zeitungen, die zu diesem Zeitpunkt erschienen sind. Bislang habe ich allerdings nicht im Ansatz eine Ahnung, wie ich da so ohne weiteres rankomme – zumal ich erst mal wissen müsste, welche Zeitungen 1937 überhaupt alle in England und Irland erschienen sind. Die Überregionalen scheinen mir da die beste Anlaufstelle. Aber ich fürchte, zugunsten der Geschichte muss ich diese Recherche erst mal hinten anstellen.

Die Frage nach dem Auftraggeber

Noch nicht so richtig geklärt ist allerdings, in welchem Auftrag mein Großvater jetzt eigentlich nach Dublin gefahren ist. Und dazu finden sich durchaus unterschiedliche Angaben in den Unterlagen. Mein Großvater selber sagt eigentlich nichts dazu. Aber irgendwie vermutet die Gestapo, dass das katholische Flüchtlingskomitee in Utrecht dahintersteckt. Nach dem Einmarsch in die Niederlande bekommt die Gestapo den Sekretär der Internationalen Katholischen Flüchtlingshilfe in die Finger: Peter Lütsches. Mein Großvater und Peter Lütsches kennen sich schon aus der Zeit vor der Machtergreifung der Nazis – und auch meinem Vater ist der Name ein Begriff:

„Moment, ist der von Süchteln … das war mit dem Flüchtlingswerk. Jetzt hab ich den Namen vergessen. Wichtig, dass es jetzt gemacht wird, bis eines Tages hab ich überhaupt kein Gedächtnis, dann ist alles weg. Wie hieß der wieder, der aus Süchteln kam und aus dem Zentrum stammte und nach dem Krieg mit ausgeschlagenen Zähnen aus dem KZ zurück kam und sich nach dem Krieg für die Oma eingesetzt hat, dass die eine gute Rente bekam. Peter Lütsches. Der war Vorsitzender des Flüchtlingskommitees.“

Interview mit meinem Vater am 25. März 2015

Dieser Peter Lütsches also soll jetzt der Gestapo erklären, auf wessen bestreben hin mein Opa in Dublin war. Lütsches Aussagen zu diesem Sachverhalt sind durchaus widersprüchlich:

„In Übereinstimmung mit Pater Odo wurde die Haltung  H e s p e r s  abgelehnt und er von einer Mitarbeit im Komitee ausgeschaltet. Sein Versuch, an der Jugendarbeit des Komitees mitzuwirken, ist allein auf seine eigene Initiative zurückzuführen. Es ist weiterhin richtig, daß  H e s p e r s  die [an der] Konferenz des Friedensbundes der Katholiken in Dublin wahrscheinlich im Jahre 1938 teilgenommen hat, ohne aber auch dazu einen offiziellen Auftrag vom Komitee zu haben. Er hat diese Konferenz, wenn nicht im Auftrage einer anderen Stelle, dann aus eigener Veranlassung in Verabredung mit dem niederländischen Abgeordneten  P.I.J. S e r r a e n s  besucht. Serra[r]ens war Leiter des niederländischen Friedensbundes der Katholiken und gleichzeitig auch Angehöriger des Vorstandes des katholischen Komitees in Utrecht. Es ist allerdings richtig, daß  H e s p e r s  im Auftrage des Komitees durch mich den Auftrag erhielt, anläßlich der Konferenz in Dublin nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, um zwecks Weiteremigrierung katholischer Flüchtlinge in Irland unterzubringen. Wer die Reisekosten des  H e s p e r s  seinerzeit nach Dublin getragen hat, ob es das Komitee oder Serra[r]ens war, vermag ich heute nicht mehr anzugeben. Ich muß zugeben, daß wegen der politischen Tätigkeit  H e s p e r s  das Komitee eigentlich keine Unterstützung an ihn zahlen durfte.“

Verhör von Peter Lütsches vom 3. Juni 1943 in Berlin, aus dem KZ Sachsenhausen vorgeführt

Dass mein Großvater trotzdem weiterhin vom Komitee unterstützt wurde, führt Lütsches im Verhör auf eine Inkonsequenz des Komitees zurück. Nach allem, was ich inzwischen weiß, halte ich aber auch andere Gründe für nicht unwahrscheinlich – inklusive einer Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst. Aber es wäre sicher nicht klug gewesen, der Gestapo das zu sagen. Interessanterweise finde ich allerdings auch im englischen Artikel einen Hinweis darauf, dass die Teilnehmer rein aus privatem Antrieb und nicht als Stellvertreter ihrer Organisationen am Kongress teilgenommen haben:

„It is important to note that these visitors and, indeed, all who took part in the Conference did so in their private capacity as persons interested in, an well-informed about, international questions. They were not, properly speaking, delegates of their various countries.“

Studies – An Irish Quarterly Review, Vol. 26, No. 103 (Sep 1937), S. 493

Es erschien also auch dem Autor des Artikels 1937 schon wichtig zu betonen, dass ausschließlich Privatpersonen und keine staatlichen Vertreter an der Veranstaltung teilgenommen haben. Für mich klingt das wie eine Art Absicherung. Um die Teilnehmer der Veranstaltung zu schützen – und vielleicht auch die Veranstaltung selber. Zum Beispiel davor, eine politische Veranstaltung zu sein oder eine Zusammenkunft von Widerständlern. Vielleicht herrschte auch schon ein Bewusstsein dafür, dass einige Teilnehmer bereits politisch verfolgt wurden.

Ein internationales Netzwerk

Interessanterweise lässt sich auch die eingangs erwähnte Verbindung von meinem Großvater zum niederländischen Politiker Jos Serrarens in diesem Artikel wiederfinden und damit überprüfen. Freundlicherweise hat mich Google darauf hingewiesen, dass beim im Protokoll erwähnten „P.I.J. Serraens“ ein Buchstabe fehlte. „Meinten Sie SerraRens?“ – Ja. Danke Google. So spooky das oft ist, was die Suchmaschine so alles ausspuckt, aber bei meinen Recherchen zu meinem Großvater ist dieses Datenmonster unfassbar hilfreich. Und so heißt es im Artikel über Jos Serrarens:

„In the fifth and last paper, Mr. PJS Serrarens, Secretary-General of the International Federation of Chritsian Trade Unions, came before the Conference with a proposal to hold at the Hague next year a Catholic Peace Congress on a large scale – not a mere mass demonstration, but an assembly with definite subjects of study and definite aims. The Conference fell in with this proposal.“

Studies – An Irish Quarterly Review, Vol. 26, No. 103 (Sep 1937), S. 493

Leider habe ich bisher noch nicht herausgefunden, ob es im Jahr 1938 dann tatsächlich zu einer solchen Konferenz in Den Haag gekommen ist. Aber auch hier spare ich mir zugegebenermaßen ein bisschen Rechercheenergie, weil ich nicht glaube, dass das für die Geschichte meines Großvaters besonders relevant ist.

Aber ich bin schon ziemlich beeindruckt davon, was sich alles mit ein bisschen – zugegebenermaßen sehr unorganisierter – Recherche herausfinden lässt. Der vage Hinweis auf irgendeinen katholischen Kongress in Irland, ein Name – zudem noch falsch geschrieben – und ein paar Google-Suchanfragen später liegt wieder ein Haufen neuer Informationen vor meiner Nase. Und ich bin extrem beeindruckt über die Kontakte, die mein Großvater sich im Exil erarbeitet hat. Ich hab mich schon mehr als einmal gefragt, wie er diesen Spagat geschafft hat. Auf der einen Seite seine politische Arbeit und der Umgang mit hochrangigen Politikern, Journalisten und Geheimdienstmitarbeitern – auf der anderen Seite eine völlig unpolitische Frau, die seinen Reformladen und sein Portemonnaie plündert und die am liebsten wieder zurück nach Deutschland möchte, weil sie nicht begreift, wie gefährlich es dort für sie geworden ist. Und dann nicht zuletzt dieser kleine, inzwischen sechsjährige Rotzlümmel, der eher nach seiner Mutter schlägt und nichts als Blödsinn im Kopf hat. Ich weiß nicht, wie er sich dabei gefühlt hat, aber ich weiß, wie ich mich dabei fühle, wenn ich auf die Situation schaue.

Ich sehe einen kleinen Jungen, der sich nach seinem Vater sehnt. Und der einen Vater erlebt, dem die politische Arbeit wichtiger ist als die eigene Familie. Aus den Augen eines Kindes betrachtet eine nicht nachvollziehbare Zurückweisung. Denn was, bitte, kann wichtiger sein, als zu schreien, zu rennen, zu spielen und zu lachen?

Ich sehe eine Frau, die gezwungen ist an einem Ort zu leben, an dem sie nicht sein will. In einem Land, dessen Sprache sie nicht spricht. Ohne ihre Familie, fernab der Welt, die sie kannte und als ihr Zuhause betrachtet hat. Die längst die Liebe ihres Mannes an eine andere Frau verloren hat – und an sein politisches Engagement.

Ich sehe einen Mann, der sich Verantwortlich fühlt für die Geschicke seines Landes. Der eine Mission hat und bereit ist, alles dafür zu opfern. Sich ebenso wie seine Familie. Der dieser Mission alles unterordnet – und trotzdem versucht, seine Pflichten zu erfüllen. Der Freiheit für sich und für andere fordert – und dabei selbst nicht frei sein kann.

Und ich bin erschüttert wie viel Leid auf dieser ganz persönlichen Ebene entsteht, weil mein Großvater für etwas kämpft, das wir heute wie selbstverständlich als gegeben hinnehmen. Als unser Recht und als etwas, das einige in diesem Land lieber nicht teilen wollen: Frieden und Freiheit. Nichts davon ist zu haben ohne Demokratie. Und nichts davon ist zu haben, ohne dass wir es mit anderen teilen.

Personen:

Theo Hespers – katholischer Widerstandskämpfer und mein Großvater

Pieter Brijnen van Houten – offiziell Korrespondent beim De Telegraaf, tatsächlich aber Geheimagent für GS III und MI5, Spitzname „The Cat“

Jos Serrarens – niederländischer Politiker und Generalsekretär der International Federation of Christian Trade Unions

John Eppstein – britischer Autor, schreibt über christlichen Glauben, Moral und Gesetzgebung

Peter Lütsches – Mitglied der Zentrumspartei, Vorsitzender der Internationalen Katholischen Flüchtlingshilfe in Utrecht, nach dem Krieg Politiker (CDU)

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