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Episode 8

Zwischen den Zeiten – Teil 1

Berlin. Dorthin haben sie meinen Großvater gebracht, nachdem sie ihn in Antwerpen mit gefälschten Lebensmittelmarken erwischt und festgenommen haben. Zuerst ins Marinegefängnis nach Wilhelmshaven – und dann nach Berlin. Ins „Hausgefängnis“ der Geheimen Staatspolizei im Reichssicherheitshaupt. Prinz-Albrecht-Straße 8. Da will ich hin.

Titelseite des Dokuments, mit dem die Verhörprotokolle im Prozessordner beginnen. Darauf steht: Oberreichsanwalt beim Volksgericht. Das ist aber durchgestrichen. Darunter "Strafsache gegen: Hespers, Theodor, Kaufmann aus Halle"

Berlin. Dorthin haben sie meinen Großvater gebracht, nachdem sie ihn in Antwerpen mit gefälschten Lebensmittelmarken erwischt und festgenommen haben. Zuerst ins Marinegefängnis nach Wilhelmshaven – und dann nach Berlin. Ins „Hausgefängnis“ der Geheimen Staatspolizei im Reichssicherheitshaupt. Prinz-Albrecht-Straße 8. Da will ich hin.

Dienstag früh bin ich los. Statt Klamotten für drei Tage habe ich vor allem Unterlagen in meinem kleinen blauen Rollkoffer. Ganz schön schwer das Ding. Und natürlich habe ich falsch gepackt. Statt die Klamotten hinter den Latz zu packen, der sich schließen lässt, habe ich da den dicken Aktenordner verstaut. Dieses schwere Teil, das mich die ganze Zeit mahnend ansieht. Ich muss das lesen. Und ich will das lesen bevor ich den Ort besuche an dem mein Großvater fast ein Jahr lang verhört und gefoltert wurde. In dem Ordner, schön einzeln in Klarsichtfolie verpackt, sind Kopien aus der Gestapo-Akte über den „Schutzgefangenen“ Theodor Hespers. Allein das Wort „Schutzgefangener“ ist an Zynismus kaum zu überbieten.

„Das ist sehr spannend, was da drin steht!“ hat mein Vater gesagt. So als würde es sich um einen Kriminal-Roman handeln. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Oder ob ich das ähnlich empfinden werde. Aber ich hab jetzt viereinhalb Stunden Zeit, mir – zumindest in Teilen – ein eigenes Bild davon zu machen. Ich packe also meinen Koffer auf den Tisch des ICE und krame den Ordner raus, während Menschen auf meine nicht gerade ordentlich verstauten Klamotten starren können. Aber das ist mir jetzt auch egal. Die ganze Situation ist skurril genug.

Wie man Folter im Verhör erkennt

Und da liegt er jetzt. Der dicke schwere Aktenordner. Als der Zug losrollt, muss ich wieder an mein Gespräch mit meinem Kollegen Matthias von Hellfeld denken. Bei unserem Gespräch im August 2014 hat er mir erklärt, wie man solche Akten lesen muss – und woran ich zum Beispiel Folter erkenne:

„Es gibt so ein paar Formeln, unter denen man lesen kann, hier ist doch was gewesen. Am meisten ist das ‚unter besonderem Vorhalt‘ oder ‚auf Vorhaltung‘ wurde dem Gefangenen noch einmal erklärt, er möge sich erinnern. Manchmal hat der Protokollant den Satz abgebrochen, daran kann man sehen, hier ist einfach jemand ohnmächtig.“

Interview mit Matthias von Hellfeld vom 28.08.2014

Wie diese Folter aussah, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe mich noch nie mit den Foltermethoden in Gestapo-Gefängnissen beschäftigt. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das so genau wissen will oder muss. Sicher ist, dass sie den Gefangenen massiv Schmerzen zugefügt haben. Sie wurden geschlagen und getreten. Sie werden ihre Knüppel verwendet haben. Und sie werden sicher nicht zimperlich gewesen sein. Schließlich wurden vor allem politische Feinde in die Prinz-Albrecht-Straße 8 verbracht und verhört. Es gab wohl keine Veranlassung, diese Staatsfeinde in irgendeiner Form freundlich zu behandeln.

Nicht die Stimme meines Großvaters

Ich habe Angst davor, diese Stellen in dem Protokoll zu finden. Und ich bin mir sicher – ich werde sie finden. Es wird drin stehen. Aber es gibt noch einen Satz von Matthias, den ich fast schlimmer finde. Denn natürlich suche ich in diesen Dokumenten nach der Stimme meines Großvaters. Nach Spuren seiner Persönlichkeit. Nach seiner Version der Dinge:

„Alle Protokolle, die du liest sind formuliert von einem Protokollanten und hinterher redigiert von demjenigen, der das Verhör gemacht hat. Das heißt, die Sätze sind nicht die deines Großvaters, der Inhalt – würde ich auch sehr zögerlich sein. Mittlerweile würde ich fast ehrlicherweise sagen, da stimmt fast gar nichts von, da gibt es aber einen heftigen Streit drum.“

Interview mit Matthias von Hellfeld vom 28.08.2014

Meine einzige Chance ist es, mich auf meine Intuition zu verlassen. Ja, ich weiß. Das ist keine sehr belastbare Größe. Vor Gericht wäre Intuition nichts wert. Null. Aber das ist meine Familie. Natürlich bin ich nicht mein Großvater. Aber irgendetwas von ihm ist ja da in mir. Rein genetisch gesehen. Das ist wie an dem Tag, als ich mit meiner Oma (also mütterlicherseits), alleine in den Urlaub geflogen bin vor zwei Jahren. Als Kind hab ich sie nicht gut gekannt. Aber das wollten wir halt nachholen. Und als wir am Flughafen sind, beugt sie sich über ihren Koffer und macht plötzlich ein Geräusch, das ich nur allzu gut kenne. Es klingt wie ein erschrecktes „Huch“ – ist aber in Wahrheit ein seltsamer Einmal-Schluckauf, so ein ganz langer. Ich hab sie angestarrt wie ein Gespenst – genau das gleiche hab ich auch. Mit einem Schlag ist klar: das hab ich geerbt. Wir sind Familie. Ob wir wollen oder nicht. Auf sowas hoffe ich auch bei den Akten meines Großvaters.

Die ersten Seiten des Verhörprotokolls

Um mich ein bisschen abzuschotten, nehm ich meine Kopfhörer und leg mir Musik auf die Ohren. Aber die hör ich gar nicht. Schon nach den ersten Sätzen sehe ich nur noch das Bild meines Großvaters vor mir. Das erste Verhör, das mir vorliegt, ist vom 11. Juni 1942 – 13 Tage nach seiner „Überstellung“ ins Gestapo-Gefängnis. Es muss das erste dort geführte Verhör sein. Denn die Akte beginnt mit folgenden Worten:

„Aus dem Hausgefängnis vorgeführt erscheint der Schutzhäftlig Theodor Hespers, geb. am 12.12.1903 in München-Gladbach, weitere Personalien bereits aktenkundig und erklärt in Fortsetzung seiner bisherigen Vernehmungen bei der Staatspolizeistelle Wilhelmshaven folgendes:“

aus der Gestapo-Akte über Theo Hespers vom 11. Juni 1942

In diesem ersten Verhör geht es zunächst mal darum, dass mein Großvater erklärt, dass er seit 1936 davon weiß, dass er aus dem Deutschen Reich ausgebürgert wurde. Er muss erklären, mit welchen Personalien er seitdem unterwegs war. Zum Beispiel in Holland. Ich erfahre, dass er sich um einen niederländischen Ausweis gekümmert, diesen aber nicht bekommen hat. Stattdessen hat man ihm einen Gunstpass ausgestellt. Den Unterlagen zufolge scheint das ein Pass zu sein, der meinem Großvater das problemlose Reisen ermöglichte. Zum Beispiel nach England, wo er mehrmals mit Hans Ebeling gewesen ist. Und er muss darin seine bisherige politische Laufbahn angeben. Also welchen Organisationen er angehört hat, für welche Parteien er kandidiert hat und warum. Alles in Ich-Form geschrieben.

Es reichte, in der Opposition zu sein

Das ist einigermaßen pervers. Denn ehrlich gesagt fällt es mir schwer eine Distanz zu den Dingen aufzubauen, die ich dort lese. Zum einen, weil viel von dem was dort steht mit meinen bisherigen Recherchen überein stimmt. Zum anderen, weil die Ich-Form natürlich suggeriert, dass hier mein Großvater spricht. Nur so Satzanfängen wie „Ich gebe die Möglichkeit zu, dass ich…“ lassen mich vermuten, dass das sicher kein Monolog war, den mein Großvater dort über 8 DIN-A-4-Seiten geführt hat. Das werden die Stellen sein, wo sie ihn mit Fakten konfrontiert haben, die ihnen wichtig waren. Zum Beispiel, ob die Gruppe, die mein Großvater 1932 gegründet hat, weil er sich weder mit der Christlich-Sozialen Jugendpartei (CSJP) noch mit der KPD identifizieren konnte oder wollte, jetzt „Front der Werktätigen“ oder „Kampffront der Werktätigen“ hieß. Mein Großvater ließ sich innerhalb dieser Liste für die Stadtverordnetenwahl in Möchengladbach aufstellen – die 14 Tage nach der Reichstagswahl stattfinden sollte. Gewählt wurde er allerdings nicht.

Was an dieser Stelle relativ klar wird: 1933 war mein Großvater alles andere als ein dicker Fisch. Klar, er hat sich zur Wahl aufstellen lassen. Aber das war in Mönchengladbach. Nicht gerade die großdeutsche Schaltzentrale der Politik. Er gehörte definitiv keiner großen Partei an. Vom CDU-Vorläufer CSJP hatte er sich ebenso distanziert wie von der KPD. Abgesehen davon, dass er der KPD eine Kooperation versprochen hatte, wenn sie ihn unterstützen. Aber die Gründe dafür lagen – soweit ich das den Unterlagen entnehmen kann – vor allem darin, dass die KPD als einzige Partei klar Stellung gegen die Pläne der NSDAP bezogen hatte. Natürlich war damit sofort klar, dass mein Großvater sicher kein Freund der Nazis war. Aber jemand, der die Macht hat, die Regierung des Deutschen Reichs zu stürzen – also an der Stelle lese ich dieses Potential noch nicht heraus. Trotzdem hat das natürlich gereicht, um ihn zumindest einzubuchten. Vielen seiner politischen Freunde ist auch genau das passiert. Aber mein Großvater hat Wind von seiner Verhaftung bekommen und ist geflohen. Und das fanden die Nazis natürlich erst recht nicht witzig…

Liebe Lesende, seid mir nicht böse, wenn ich an dieser Stelle erst mal einen Cut mache. Es ist schon ziemlich spät und ich will euch nicht mit allzu langen Texten nerven. Es gibt noch ein bisschen was zu erzählen über die Akte, ihren Inhalt und meinen Besuch in Berlin und ich verspreche ich schreib so schnell weiter, wie es geht! Also bis bald.

PERSONEN:

Theodor Hespers = Mein Großvater

Matthias von Hellfeld = Kollege und Geschichtsexperte

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Auszug von der ersten Seite des Verhörprotokolls im Reichssicherheitshauptamt in Berlin vom 11. Juni 1942. Die ersten Zeilen lauten "Aus dem Hausgefängnis vorgeführt erscheint der Schutzhäftling Theodor Hespers ..." Es folgen persönliche Daten.

Episode 9

Zwischen den Zeiten – Teil 2

Mir ist von Anfang an klar, dass ich die Stellen finden werde von denen Matthias gesprochen hat. Die Stellen, die darauf hinweisen, dass während des Verhörs irgendetwas passiert ist. Besonders lange muss ich dazu nicht lesen. Es ist ein spezieller Moment. Einer, der sich nicht so leicht in Worte fassen lässt.

zur Folge

31-01-2015
Die roten Backstein-Türme des Gefängnisses in Plötzensee, fotografiert aus dem ehemaligen Innenhof mit Hinrichtungsgarage der heutigen Gedenkstätte Plötzensee.

Episode 10

Zwischen den Zeiten – Teil 3

Historische Orte sind immer ein bisschen seltsam. Und Berlin hat ganz schön viele davon. Vor allem da, wo die ganzen Regierungsgebäude sind, schreien einen die Epochen regelrecht an. Ich bin in der Niederkirchner-Straße 8 verabredet in der Topografie des Terrors. Direkt gegenüber dem Abgeordnetenhaus und dem Martin-Gropius-Bau. Vor mir fahren doppelstöckige Touribusse vorbei. Und ich versuche mir vorzustellen, wie es hier 1942 ausgesehen haben könnte. Ich betrete das Gelände mit gemischten Gefühlen, weil ich nicht so recht weiß, was mich erwartet.

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08-02-2015
Ein Foto von der digitalen Anzeige des Totenbuchs in der Gedenkstätte Plötzensee von 2014.

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111 Jahre oder drei Generationen

Am 12.12.1903 – vor genau 111 Jahren – wurde mein Großvater geboren: Theodor Franz Maria Hespers. Für mich ist mein Großvater ein Mythos. Eine Heldenfigur. Und jemand, der mein Leben bis heute beeinflusst. Er starb am 09.09.1943 in Berlin Plötzensee – ermordet von den Nazis.

zur Folge

12-12-2014

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