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Episode 17

Over de Waterkant

Auch in den 1930er Jahren ist es nicht leicht, als Flüchtling im Ausland politisch aktiv zu sein. Meinem Großvater Theo Hespers bringt das jedenfalls Ärger ein. Auch, weil sein Treiben die Sicherheit der Niederlande gefährdet.

Mein Vater Dietrich Hespers und meine Oma Käthe Hespers ca. 1935 in Helmond. Mein Vater ist vier oder fünf Jahre alt und schaut gelassen in die Kamera. Meine Oma trägt einen kinnlangen Bob und Seitenscheitel. Sie schaut meinen Vater an.

Als Ende 1934 die Freunde meines Großvaters Theo Hespers reihenweise verhaftet und zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt werden, wird es still in dem kleinen Bauernhaus an der holländischen Grenze. In einem Film wäre das die Stelle, wo die Nadel vom Plattenteller rutscht, ein Glas zerbricht – und statt schallendem Gelächter und Musik plötzlich nur noch der Wind rauscht. Die Partygäste verschwinden wie Gespenster aus einer anderen Zeit. Nur, dass sie in diesem Fall nicht einfach verschwunden sind – sie wurden verhaftet und weggesperrt.

Auch die niederländische Polizei hat inzwischen Fragen zu dem Treiben im Hause der Familie Hespers. Mein Großvater ist offiziell als Flüchtling oder Emigrant anerkannt. Die Niederlande versuchen sich zu dieser Zeit möglichst neutral zu verhalten. Da passt es natürlich so gar nicht, dass ein Deutscher sein grenznahes Exil nutzt, um gegen das Hitlerregime zu arbeiten. Das riecht nach Ärger. Also bestellen die holländischen Beamten Max Behretz zu sich, um ihn darüber auszufragen, was bei den Hespers so vor sich geht. So zumindest erzählt es Max in seinem Vernehmungsprotokoll.

„Inzwischen waren bei der holl. Polizei in Roermond Mitteilungen eingegangen, daß H. regen Besuch aus Deutschland erhalte. Ich musste dieserhalb zur Polizei kommen und wurde gefragt, was er für ein Mann wäre und was die häufigen Besucher bei ihm wollten.“

Verhör Max Behretz vom 09.10.1940

Was Max den niederländischen Polizeibeamten genau erzählt, lässt er offen. Aber er darf danach wieder gehen. Was auch immer er erzählt hat, den niederländischen Behörden war die Sache dann doch zu heikel. Sie entziehen meinem Großvater die Aufenthaltserlaubnis für das Grenzgebiet und bringen ihn „over de waterkant“ – also auf die andere Seite der Maas, weg von der Grenze:

„Einige Tage später wurde ich von Frau H. in meiner Wohnung aufgesucht und teilte mir diese mit, daß ihrem Mann die Aufenthaltserlaubnis im Grenzgebiet untersagt worden wäre. Er wäre inzwischen von der Polizei nach Eindhoven gebracht worden.“

Verhör Max Behretz vom 09.10.1940

Für meine Oma muss das ein mittleres Drama gewesen sein. Alleine mit ihrem knapp vierjährigen Sohn, für den sie ja kaum selber sorgen konnte. Denn wie gesagt, meine Oma war weder eine begnadete Köchin, noch sonst in irgendeiner Weise besonders geschickt. Mal ganz davon abgesehen, dass sie auch nach zwei Jahren in den Niederlanden immer noch nicht niederländisch sprach. Mein Vater erzählt das immer leicht amüsiert, dass mein Opa sie als Nordholländerin aus der Grenzregion vorgestellt hat, die kein Hochniederländisch kann. Alles, was meine Oma sprach, war halt Mönchengladbacher Platt (Jlabbacher Platt), das hört sich zwar sicher nicht nach Hochdeutsch an, aber auch nicht wirklich nach Niederländisch. Klingt im Nachhinein natürlich prinzipiell lustig – aber in einer solchen Situation ist das sicher alles andere als das. Zumindest für meine Oma.

Immerhin wusste sie sich zu helfen. Und in Max Behretz hatten mein Opa, meine Oma und mein Vater einen wirklich treuen und hilfreichen Freund, auch wenn das in den Verhörakten längst nicht immer danach klingt. Aber es wäre wahrscheinlich auch nur wenig klug gewesen zu sagen, wie gut die beiden befreundet waren – und vor allem wie lange schon. Ein als Kommunist eingestufter, deutscher Katholik und ein holländischer Jude machen fast sieben Jahre gemeinsame Sache gegen die Nazis. Es kann kaum eine schlechtere Ausgangslage geben für jemanden, der wegen Hochverrat inhaftiert – und Jude ist.

Helmond – und noch mal von vorn

Max jedenfalls lässt sich nicht lange Bitten, fährt kurzerhand nach Eindhoven, holt dort meinen Großvater und findet eine neue Bleibe für die Familie. Er bringt sie bei Freunden in Helmond unter – das ist ungefähr 45 Kilometer nordwestlich von Roermond, also der Gegend wo die erste Unterkunft der Familie war. Für Wochenendbesucher aus Mönchengladbach ist das natürlich zu weit. Und so wird es ziemlich einsam in der neuen Bleibe – und meinen Vater, der jetzt gerade in dem Alter ist, in dem er am liebsten den ganzen Tag die Welt erkundet, plagt die Langeweile.

„In Helmond war es stinklangweilig! Wir wohnten in einer Gaststätte, um die ringsherum ein Graben war. Unten war die Gaststätte, wir wohnten da drüber. Das waren zwei Zimmer. Wasser war auf dem Flur. Klo wahrscheinlich auch. Und es war so langweilig. Ich hatte niemand zum Spielen. Niemand zum Spielen!“

Interview mit meinem Vater vom 25.03.2015

Für meinen Großvater war Helmond strategisch gesehen gar nicht so ungünstig. Selbst, wenn mein Vater sich nicht daran erinnert, dass mein Großvater zu der Zeit mit Reformware gehandelt hat – aus den Verhörprotokollen geht etwas anderes hervor. Zumindest hat mein Großvater den Kontakt zu seinen Kunden gehalten, die allesamt aus dem „Friedensring“ stammten und das Reformgeschäft eh eher zum Schein aufgebaut hatten. Denn offiziell, also von behördlicher Seite, war es meinem Großvater nach den Vorfällen in Roermond verboten worden, sich weiter politisch zu betätigen.

Seine Kunden kamen aus Eindhoven, Breda und Tilburg. Eindhoven ist nur einen Katzensprung von Helmond entfernt – also damalige Verhältnisse und ein Fahrrad zu Grunde gelegt. Und auch nach Breda und Tilburg kam man ganz gut – 45 km beziehungsweise 60 km sind zweieinhalb bis drei Stunden pro Strecke. Und auch damals konnte man ja schon ganz gut mit der Bahn fahren. Für die Familie hieß das allerdings: Theo Hespers war ständig unterwegs. Und meine Oma war mit ihrem gelangweilten und wahrscheinlich nicht gerade ausgeglichenen Kind allein zu Hause. Ich persönlich kann mir Schöneres vorstellen.

Kiebitzeier und Wasserratten

Mein Vater kann sich aus dieser Zeit an genau zwei Highlights erinnern: ein wirklich ganz entzückendes und ein wirklich sehr unangenehmes. Sein Highlight waren die Besuche im Schwimmbad. Das war ganz in der Nähe und manchmal ist meine Oma mit ihm in die Badeanstalt. Irgendwie muss der Bademeister einen Narren an dem kleinen Kerl gefressen haben – oder an meiner Oma, wer weiß das schon so genau. Auf jeden Fall machte er meinem Vater ein Geschenk, bei dem er noch heute leuchtende Augen bekommt, wenn er davon erzählt:

„…und ich weiß, der Bademeister, der schenkte mir Kiebitzeier, die meine Mutter in der Pfanne als Spiegeleier gebraten hat für mich. Ich fand das originell. Das war toll!“

Interview mit meinem Vater vom 25.03.2015

Das andere Highlight klingt zunächst mal gar nicht so schlimm – also zumindest dann nicht, wenn man nicht an einer Rattenphobie leidet: Um seine Langeweile zu bekämpfen ging mein Vater – wir sprechen hier immer noch von einem Kind zwischen drei und vier Jahren – oft zu einem kleinen Kanal in der Nähe. Wenn mein Opa da war, war das natürlich strengstens verboten. Viel zu gefährlich! Aber meine Oma ließ ihrem Sohn, naja sagen wir mal, seine Freiheit:

„Wenn mein Vater weg war, ging ich zum Kanal und beobachtete die Ratten. Wie die Wasserratten ihre kleinen Rättchen auf den Buckel nahmen und über den Kanal schwammen. Ja, ich hatte doch sonst keine Spielkameraden!“

Interview mit meinem Vater vom 25.03.2015

Das war also die Freizeitbeschäftigung meines Vaters. Und weil Kinder es ja nicht so mit Hygiene haben, wurde er irgendwann krank. Unter seiner Haut haben sich dicke Beulen gebildet, die irgendwann geplatz sind und schrecklich geeitert haben. Ob ein Arzt das behandelt hat, hat er nicht erzählt. Aber es hat über ein halbes Jahr gedauert, bis die Krankheit abgeheilt war. Und dann stell ich mir meine Oma vor, die meiste Zeit alleine mit dem Kind, das wahrscheinlich alles andere als gut gelaunt ist, bei der wunden Haut – ohne Familie, ohne Freunde, ohne Fürsprache. Da möchte ich schon beim Gedanken daran aus Mitgefühl schier verzweifeln. Und spätestens hier kann ich ein bisschen verstehen, wie es dazu gekommen ist, dass meine Oma irgendwann das Brotmesser nach meinem Opa geworfen hat

Personen:

Theo Hespers – mein Großvater

Käthchen Hespers – meine Großmutter

Dietrich Hespers (Dirk) – mein Vater

Max Behretz – ein enger Freund meines Großvaters

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